ThomasL hat geschrieben: Dienstag 6. November 2018, 16:18Diese Problematik hast du nicht nur in Deutschland.
Mir ist nicht klar, von welcher Problematik da die Rede ist. Vieleicht diese hier?
Global Tumpism, so nennt es Mark Blyth, ist eben genau das: global. Blyth zieht eine Linie von der - damals notwendigen - keynesianischen Nachkriegsordnung über die neoliberale Revolution der 80er bis zur Krise 2008 und dem globalen Trumpismus als Reaktion auf die "Lösung" dieser Krise durch Bankenrettung und Austeritätspolitik, was nichts anderes war, als eine Rettung der Vermögen der Reichen durch die politisch angeordnete Verschuldung der Nicht-Reichen. <sarcasm> Logisch, dass man eine Bankenkrise, ausgelöst durch eine gigantische Spekulationsblase, dadurch löst, dass griechische und spanische Rentner 25% weniger Bezüge bekommen und die Hälfte aller Jobs im öffentlichen Sektor gestrichen werden, oder? Davon wird ganz sicherlich auch die dortige Wirtschaft wachsen, denn
je weniger Waren
gekauft werden,
umso mehr Waren werden auf der anderen Seite
verkauft. Bei mir ist es genau so, je weniger ich esse, umso dicker werde ich, und umgekehrt. </sarcasm> Aber wir wurden ja lang und anhaltend darüber informiert, dass die Krise daher kam, dass die faulen Griechen zuviel Urlaub hatten und zu früh in Rente gegangen sind.
Die Eurokrise war aber nie etwas anderes als eine Bankenkrise, und die Reaktion in Politik und Medien war nie etwas anderes als: Bitte gehen sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen, schauen sie lieber dahin, da steht ein fauler Grieche. Jetzt sind es halt nicht mehr die Griechen, sondern die Afrikaner und Syrer, die übers Mittelmeer zu uns her paddeln. Es ist aber immer noch genau derselbe Taschenspielertrick und es ist immer noch genau dieselbe Bankenkrise.
Mal zum Nachdenken eine Grafik, zwar für die USA, aber in der gesamten westlichen Welt sieht es ähnlich aus:
Für Neoliberale ist die Aussage dieser Grafik eindeutig: Die Lohnempfänger haben mit dem Produktivitätswachstum nichts zu tun, sondern es waren die Kapitalbesitzer, die fleißiger wurden. Deswegen haben sie es auch verdient, dass die Produktivitätsgewinne bei ihnen landen, nicht bei den faulen Massen. Oder: Die Afrikaner und Syrer sind zwar erst seit 2015 in Massen zu uns gekommen, aber sie sind schuld an der Stagnation meines Einkommens seit ca. 1970.
Hier noch eine Grafik, die berühmte
Elefantenkurve:
Der ärmste US-Amerikaner ist irgendwo zwischen 60% und 65%. Der ärmste Deutsche vermutlich auch. Die Mittleschicht, um 80% herum, hatte seit 1988 reale Einkommensverluste. Auch hier gilt: bin ich ein überzeugter Neoliberaler, muss ich annehmen, dass das daher kommt, dass die eben faul waren, die Oberschicht aber, weil sie ihr EInkommen um 60% steigern konnte, super fleißig war. Das ist nämlich das Problem mit der modernen Ökonomie: Die Annahmen, auf denen sie aufbaut, bestimmen die Interpretation der Daten, und da die Interpretation niemals den Annahmen widersprechen kann, kann am Ende nur eine Bestätigung der Annahmen herauskommen. Popper, den ich sonst nicht sehr schätze, nannte so etwas eine
hermetisch abgeschlossene Weltanschauung.
Was das ganze mit dem Bildungssystem zu tun hat? Mehrerlei. Erstens sind die Bildunssysteme in Europa immer noch ziemlich gut und das Schimpfen auf sie ist meist nichts anderes als der o.g. Taschenspielertrick, mit dem von tatsächlichen Problemen und Wahrheiten abgelenkt werden soll. Zweitens, wenn die Schule schlechter wird, werden wir das sicherlich nicht durch Austeritäts- und
Trickle-Down-Politik lösen, indem wir also die Steuern der Reichen senken und weniger Geld ausgeben. Und da rede ich nichtmal von Geld, das direkt der Schule gegeben wird, um den Unterricht und die Infrastruktur zu verbessern, sondern auch von kostenlosem Schulessen, kostenlosen Schulbussen, mehr Unterstüzung für Eltern mit niedrigem (oder nicht vorhandenem) Einkommen, incl. höherer Löhne, Vermeidung von Ghettobildung durch Sozialen Wohnungsbau in Zentrallagen und stärkerer Sozialbindung von Wohneigentum und so weiter, also solche Dinge, die in den letzten dreißig Jahren als unbezahlbar und/oder politisch inopportun galten und besser durch marktwirtschaftliche Lösungen ersetzt werden sollten.
Und wenn jetzt noch jemand jammert, dass diese unsere Probleme von der Linksversiffung der bundesdeutschen Politik herstammen: Ich muss die letzten dreißig Jahre in einer Parallelwelt verbracht haben, denn an der Neoliberalisierung, die ich während dieser Zeit erlebt habe, war aber auch gar nichts links. Nein, nichtmal die Schröder-Fischer-Jahre, und erst recht nicht die Zeit Merkels. Und die AfD als Retter anzusehen, zeugt von einem groteskem Missverständnis, einerseits der Ursachen unserer politischen Probleme, und andererseits des Wesens dieser Partei, die ja zwischen national-neoliberal und national-sozialistisch oszilliert.
Wahrscheinlich habe ich aber mit alldem unrecht, denn ich präsentiere ja nur faktenbasierte Argumente und "mit Argumenten kommt man nicht weit" -- DeaD_EyE.